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Montag, 6. September 2010

Die Merkel, die Revolution und ein fauler Kompromiss

In der Nacht zum Montag, den 06. September 2010, hat sich die Regierungskoalition auf ein „neues“ Energiekonzept geeinigt. Konkret: Ältere Atomkraftwerke dürfen acht Jahre länger, neue 14 Jahre länger betrieben werden. Genauer gesagt gibt es selbst hier noch einen weiteren Spielraum für die Betreibergesellschaften: Reglementiert werden sollen nämlich nicht die konkreten Laufzeiten sondern stattdessen die Menge an erzeugtem Strom. So lassen sich Kontingente älterer Kraftwerke, die teilweise bereits stillgelegt sind, auf die betriebsbereiten übertragen, was zu noch längeren Laufzeiten führt. Merkel erwähnte in ihrer Mitteilung an die Öffentlichkeit, man habe die Bedenken der Atomkraftgegner sehr ernst genommen. Deshalb basiere der Beschluss lediglich auf den Laufzeitverlängerungen, die absolut nötig wären. 


Angela Merkel spricht im Zusammenhang mit dem vorgelegten Energiekonzept von einer „Revolution in der Energieversorgung“. Guido Westerwelle spricht sogar von der „epochalen Bedeutung“ des Beschlossenen. Was aber ist an dem Konzept so außergewöhnlich, dass zu solch großen Worten gegriffen werden kann. Eines vorab: Beobachter können sich sicher sein, dass die Nacht nicht vorrangig genutzt wurde, um das Konzept zu formulieren oder gar zu diskutieren. Stattdessen scheint es hier für alle Beteiligten ein Persönlichkeits-Training gegeben zu haben. Sowohl der Kanzlerin als auch Röttgen und Brüderle strahlten Freude, Optimismus und Selbstzufriedenheit aus jedem Knopfloch. Röttgen schaffte es sogar, den angewiderten Zug um seine Mundwinkel zu kaschieren, der sich immer dann beobachten lässt, wenn er neben Brüderle zu Stehen kommt.
Das revolutionäre Moment des Energiekonzepts? Noch nie ist es einer deutschen Lobby in vergleichbarer Weise gelungen, ihre eigennützigen Forderungen so konsequent in ein Regierungspapier zu diktieren. Das hat ohne Zweifel epochale Bedeutung. Eine Revolution könnte hier in der Tat auf den Fuß folgen, wenngleich auch in ganz anderer Weise, als sich das Angela Merkel zur Zeit ausmalen möchte. Ob sie den Ausbruch eines solchen Ereignisses wieder in der Sauna verbringen würde, sei dahingestellt. Das Energiekonzept basiert darauf, dass einer Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke im Umfang der Wünsche der Atomindustrie entsprochen wurde. Hätte man die Vorstände der vier großen Atomkonzerne vor Monaten um das Ausfüllen eines Wunschzettels in Bezug auf die Laufzeiten gebeten, so wäre der Inhalt weitgehend identisch mit dem Energiekonzept der Bundesregierung gewesen.


Was ist eigentlich ein Kompromiss?

Sowohl die Bundesregierung als auch die ARD sprechen im Zusammenhang mit dem neuen Energiekonzept von einem Kompromiss. Nach Wikipedia wird ein Kompromiss folgendermaßen definiert: „Ein Kompromiss ist die Lösung eines Konfliktes durch gegenseitige freiwillige Übereinkunft, meist unter beiderseitigem Verzicht auf Teile der gestellten Forderungen.“

Fragen wir uns zuerst, was der Konflikt in dieser Sache ist. Atomenergie ist nicht sicher. Neben den allgemeinen Betriebsrisiken genügt bereits ein Flugzeugabsturz über dem Gelände eines Kraftwerks, um eine Katastrophe von unermesslichem Ausmaß herbeizuführen. Darüber zeichnet sich bis zum heutigen Tag keine Lösung in Bezug auf die Endlagerung von radioaktivem Material und Brennelementen ab.

Wer sind die beteiligten Parteien, zwischen denen dieser Konflikt besteht? Es handelt sich hierbei einerseits um die Bevölkerung in Deutschland und den grenznahen Gebieten, die im Falle einer Panne, eines Unfalls oder einer unsachgemäßen Endlagerung leidtragend ist. Andererseits sprechen wir von der Atomindustrie, deren Interessen sich an den hohen Gewinnen durch die Verlängerung der Laufzeiten orientieren. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Zwei Parteien streiten miteinander. Die eine Partei umfasst mehr als 80 Millionen Menschen, die andere Partei gerade einmal vier Konzerne. Während es für die größere Partei um die Gesundheit, Leben und Tod geht, streitet die andere Partei für ihren Profit.

Kommen wir jetzt zu der „freiwilligen Übereinkunft unter beiderseitigen Verzicht auf Teile der gestellten Forderungen.“ Die Bürger verzichten, das ist offensichtlich, auf Sicherheit. Sie nehmen ein deutlich erhöhtes Risiko in Kauf Opfer einer Katastrophe zu werden, frühzeitig schwer zu erkranken und unter ständiger Angst zu leben. Die Atomindustrie verzichtet dagegen auf nichts. Der Anstand gebietet es, dass die sie einen kleinen Obolus entrichtet. Schauen wir uns die entsprechenden Zahlen kurz an, um einen Eindruck von der Qualität des Kompromisses zu erhalten: Im Durchschnitt kann man davon ausgehen, dass jedes der insgesamt 17 deutschen Atomkraftwerke einen täglichen Gewinn in Höhe von rund einer Million Euro erwirtschaftet. Wenn wir bei der Berechnung die zusätzlichen Verlängerungspotentiale ausser Acht lassen und uns nur auf die durchschnittlich erreichten 12 Jahre Laufzeitverlängerung beschränken, dann lautet die Rechnung: 17 Atomkraftwerke x 365 Tage x 12 Jahre x 1 Million Euro. Das ergibt zusammen einen zusätzlichen Gewinn in Höhe von rund 74,5 Milliarden Euro. Also Zahl sieht das übrigens so aus: 74.500.000.000 Euro.

Ab 2011 sollen die Betreiber der Atomkraftwerke eine Atomsteuer in Höhe von jährlich 2,3 Milliarden Euro entrichten. Diese Regelung wurde allerdings lediglich für die nächsten sechs Jahre vereinbart. In Summe ergibt dies also zunächst einen Betrag in Höhe von 13,8 Milliarden Euro. Hinzu kommt ein winziger Sonderbeitrag zum Ausbau alternativer Energien. Dieser beträgt in den Jahren 2011 und 2012 jeweils 300 Millionen Euro und sinkt dann für die Jahre 2013 bis 2016 aus unerfindlichen Gründen auf 200 Millionen Euro. Insgesamt belaufen sich also die zusätzlichen Abgaben der Atomkonzerne auf 15,2 Milliarden Euro, denen ein zusätzlicher Gewinn in Höhe von 74,5 Milliarden Euro gegenübersteht. Der verbleibende Gewinn beläuft sich demnach auf 59,3 Milliarden Euro, was wohl ohne Zweifel als ein ausgezeichnetes Geschäft bezeichnet werden darf.

Halten wir also fest: Im Konflikt um die Sicherheit der Bürger gegen die Gewinninteressen der Atomkonzerne liegt die Lösung darin, dass die Bürger das komplette Risiko in Kauf nehmen und die Konzerne dafür 59,3 Milliarden Euro erhalten. Die Regierung, als Vermittler und Moderator des Kompromisses, übrigens zwar von der Atomlobby mit üppigen Spenden bedacht, allerdings ausschließlich durch das Votum der besorgten Bürger in die Regierungsverantwortung gebracht, berechnet für die Mediation eine Gebühr in Höhe von 15,2 Milliarden Euro. Von diesen stehen lediglich lächerliche 1,4 Milliarden Euro dem Ausbau erneuerbarer Energie zur Verfügung. Der Löwenanteil, nämlich 13,8 Milliarden Euro, fließen ungehindert in die stark verschuldete Staatskasse und helfen hier für die enormen Zinsen aufzukommen, die im Rahmen der Staatsverschuldung bei einigen privaten Banken anfallen.

Es würde mich freuen, wenn Regierung und ARD der Öffentlichkeit einmal erklären könnten, worin genau der Kompromiss bei diesem Deal besteht. Mir erschließt sich der „beiderseitige Verzicht auf Teile der gestellten Forderung“ ganz und gar nicht, einmal ganz davon abgesehen, dass es sehr fraglich ist, ob die Sicherheit der Gesamtheit aller Bürger überhaupt Bestandteil eines Kompromisses sein dürfte.


Vorgeschlagen, vorgelegt, beschlossen oder angeordnet?

Nach Wochen und Monaten öffentlicher Diskussionen liegt nun ein Energiekonzept der Bundesregierung vor. Aber um was handelt es sich bei dem revolutionären und epochalen Werk denn jetzt eigentlich? Ist das lediglich ein Vorschlag der Bundesregierung? Handelt es sich um eine Vorlage für die weitere Vorgehensweise? Ist der Inhalt des Konzeptes bereits beschlossene Sache oder sogar angeordnet? Es scheint bereits heute offenkundig zu sein, dass die Regierung nicht im Traum daran denkt, das Papier gemäß der Verfassung dem Bundesrat vorzulegen. Wäre dies nicht der richtige Zeitpunkt, um die angedrohten Maßnahmen im Falle eines Verfassungsbruchs anzugehen? Wie sieht es aus, lieber Herr Gabriel, liebe Frau Roth, liebe Frau Lötzsch? Liebe Gewerkschafter, liebe Naturschutzverbände, liebe Bürgervereinigungen gegen Atomenergie? Ich glaube es ist Zeit, sich zu Wort zu melden und Frau Merkel jene Revolution erleben zu lassen, die sie in ihrer heutigen Erklärung, wenn auch in einem anderen Wortsinn, bereits heraufbeschworen hat. Lasst uns Stuttgart 21 doch mal eine Nummer größer versuchen.

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