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Mittwoch, 1. September 2010

Die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke: Lobby as Lobby can

Die Diskussion um die Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke nimmt allmählich skurrile Formen an. Wurde noch vor kurzer Zeit über ein Ja oder Nein zur Verlängerung verhandelt, so geht es mittlerweile nur noch darum, um wie viele Jahre die Zeitspanne verlängert werden soll. Sicherheitsüberlegungen sind dabei ebenso in den Hintergrund geraten, wie die Berücksichtigung wissenschaftlich fundierter Gutachten. Als konsequenter Gegner von Atomkraft fühlt man sich allmählich in die 80er Jahre zurück versetzt.


Atomkraftgegner überwintern bei Dunkelheit mit kaltem Hintern

Jeder Atomkraftgegner, der die erste Welle der Kritik gegen diese Form der Energieerzeugung in Deutschland miterlebt hat, erinnert sich an die Aufkleber auf den Schultaschen der Jungen Union Mitglieder. Bis die Ablehnung von Atomkraft ihren Weg bis in die höheren Schichten der Republik erlangt hat, mussten mehrere Jahrzehnte vergehen. Noch vor Kurzem brauchte man sich selbst in Unternehmerkreisen nicht für eine Anti-Atomkraft-Position zu genieren. Die deutsche Gesellschaft hatte einen Konsenz gefunden, der die Ablehnung salonfähig machte. Wer sich fragt, wie eine Umkehr der öffentlichen Meinung genau vor sich geht, der muss lediglich diederzeitige öffentliche Diskussion genauer unter die Lupe nehmen.


Wie schaffen die das nur immer wieder?

Die Rollen für die sich derzeit abspielende Komödie innerhalb der deutschen Energiepolitik wurden mit Präzision verteilt. Da ist zunächst ein Bundesumweltminister, der sich in Bezug auf die Atomwirtschaft kritisch gibt. Dazu kommt die Kanzlerin aller Deutschen, die aufgrund Ihrer beruflichen Vergangenheit geeignet erscheint, die Entscheidungen für oder gegen Laufzeitverlängerungen fachlich kompetent entscheiden zu können. Hinzu kommt eine Pro-Atomstrom Lobby, der gleich ein ganzer Haufen von Prominenz angehört und die über das nötige Kleingeld verfügt, um eine Medienkampagne im Großformat starten zu können. Nun werden für das wachsame Auge des Bürgers zahlreiche fachspezifische Reisen zu den verschiedenen Energiestandorten Deutschlands durchgeführt und alle beteiligten Personen geben sich dabei kritisch. Versehentlich gerät eine Information kurzfristig in die Nachrichten des WDR, die besagt, dass die entscheidenden Gutachten zu dem Schluss kommen, dass es weder volkswirtschaftliche noch energiepolitische Gründe für eine Verlängerung der Laufzeiten gibt. Schon am selben Abend wird diese Meldung durch die Tagesschau dahingehend korrigiert, dass die Gutachten Argumente für die Frage nach der konkreten Dauer einer Verlängerung enthalten würden. Im Sommerinterview erklärt die Kanzlerin dann zunächst ganz vorsichtig, sie könne sich eine Verlängerung im Rahmen von 10 bis 15 Jahren vorstellen. 

Haben Sie es gemerkt? Niemand spricht mehr davon, ob es überhaupt zu einer Verlängerung kommen soll. Diskutiert wird lediglich über die Dauer der Extension und Angela Merkel spielt jetzt die Rolle der unnachgiebigen Steuereintreiberin gegenüber der Atomwirtschaft. Diese regt sich über zusätzliche Abgaben gebührend auf und lässt sich mit gespieltem Bedauern auf jedes Modell ein, das ihr vom Staat angeboten wird. Angesichts der immensen Gewinne, die jedes einzelne Atomkraftwerk pro Jahr weiterer Laufzeit erwirtschaftet, handelt es sich selbst bei den höchsten Besteuerungsvorschlägen lediglich um Kleingeld.

So hat die öffentliche Inszenierung die Gesamtheit der Bürger und auch die Medien unbemerkt ins nächste Level gebeamt. Wer gegen Atomenergie ist, der spricht sich jetzt für eine möglichst kurze Verlängerung mit hohen Sonderabgaben aus. Wer ohnehin dafür war, der wünscht sich möglichst lange Laufzeiten mit niedrigen Abgaben für die Energiekonzerne. Über eine Absage an die Verlängerungsabsichten wird nicht mehr gesprochen.


Was soll das eigentlich mit dem Brüderle?

Kann mir in diesem Zusammenhang mal bitte jemand den Brüderle erklären? Der muss doch über brisante Informationen über Mitglieder der höchsten Kreise verfügen. Anders ist es nicht erklärbar, dass dieser Mensch in Deutschland ein Ministeramt bekleidet. Haben Sie den mal sprechen gehört? Jedes Wort mit mehr als drei Silben überfordert bereits das weingetränkte Sprachzentrum des Bundeswirtschaftsministers. Eine Sternstunde der deutschen Bundespolitik: Brüderle und Röttgen stellen gemeinsam die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Gutachten vor. Die beiden stehen zwar nebeneinander und verfügen angeblich über das identische Manuskript, verkünden allerdings in stoischer Ruhe jeweils das vollkommene Gegenteil in Bezug auf die Inhalte. Brüderle gibt bekannt, dass eine Verlängerung der Laufzeiten vor dem Hintergrund volkswirtschaftlicher Überlegungen um rund 15 Jahre angemessen sei. Röttgen entgegnet, dass die Verlängerung lediglich marginale Auswirkungen auf die Volkswirtschaft hat. Dem folgen noch weitere Aussagen von vergleichbarer Qualität. 


Da war doch noch was? Ach ja, die ungeklärte Endlagerung

Was machen wir eigentlich mit dem Atommüll? Alle Teilnehmer an der öffentlichen Debatte sind so sehr damit beschäftigt, eine optimale Jahreszahl für die Verlängerung zu ermitteln, dass sich niemand mehr mit der unwesentlichen Frage nach einer adäquaten Endlagerung beschäftigen mag. Macht ja nichts. Lassen wir das Thema einfach weg und verkomplizieren den Dialog nicht unnötig. Erst kommt das Fressen dann kommt die Moral. Was kümmert die derzeitigen Entscheider schon die Frage, welche Sicherheitsrisiken wir den folgenden Generationen zumuten. 


Und die Strompreise?

Gute Nachrichten für die Verbraucher. Die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke sichert weiterhin günstige Verbraucherpreise am Strommarkt. Weiterhin? Günstig? Moment. Alleine zwischen den Jahren 2000 und 2006 haben sich die Strompreise für Verbraucher um rund 30 % erhöht.


Die Liberalisierung der Energiemärkte im Jahre 1999 hat sich also rundum gelohnt. Zumindest für die Anbieter von Energie. Und wer es genauer ausrechnen möchte: Die Anschubfinanzierungen für die Atomenergie belaufen sich nach einer Studie von Greenpeace bislang auf rund 258 Milliarden Euro. Man stelle sich einmal vor, wie wir energiepolitisch aufgestellt wären, wenn diese Beträge in die Weiterentwicklung regenerativer Energien geflossen wären.

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